Gutachten Wohnungslüftung
Rechtsgutachten des Bundesverbandes für Wohnungslüftung e. V.
Haftungsrisiko für Wohngebäude ohne Lüftungsanlage im Neubau und Bestand?
Welche Rolle spielt die Wohnungslüftung?
Aufgrund vieler Anfragen verunsicherter Bauherren, Planer, Baufirmen und Bauträger bezgl. der Wohnungslüftung hat der Bundesverband für Wohnungslüftung e.V. ein Rechtsgutachten bei der auf das Baurecht spezialisierten Kanzlei Heiermann - Franke - Knipp, Frankfurt, in Auftrag gegeben. Gutachter und Autor ist Rechtsanwalt Dietmar Lampe. Erschienen ist es im Dezember 2006.
Ergebnis kurz und knapp:
Planer und Bauausführende, die bei Neubau oder Renovierung eines Wohnhauses auf eine kontrollierte Lüftungsanlage verzichten, setzen sich Haftungsrisiken aus. Zwar kann heute noch nicht zuverlässig davon ausgegangen werden, dass eine Lüftungsanlage zwingend erforderlich ist, doch birgt die Alternative, den vorgeschriebenen Luftaustausch allein der zusätzlichen Fensterlüftung der Bewohner zu überlassen, erhebliche rechtliche Risiken.
Rechtliche und technische Grundlagen:
Die Energieeinsparverordnung (EnEV) und die DIN 4108-2 (Wärmeschutz und Energieeinsparung in Gebäuden, Teil 2: Mindestanforderungen an den Wärmeschutz) schreiben vor:
- Die Gebäudehülle muss dauerhaft luftundurchlässig abgedichtet sein.
- Ein ausreichender Luftwechsel muss gewährleistet sein, um zu hohe Kohlendioxidbelastung, Luftfeuchte, Schimmelbildung und zu hohe Schadstoffkonzentrationen zu vermeiden
- Ausreichender Luftwechsel gemäß DIN 4108-2, wenn alle zwei Stunden die Luft einmal ganz ausgetauscht wird (Luftwechsel n = 0,5 h-1).
- Die anzunehmende Luftwechselrate über Gebäudeundichtheiten bei gemäß DIN bzw. EnEV ausgeführten Häusern liegt zwischen
- - n = 0,3 h-1, d. h. nach mehr als 3 Stunden, und
- n = 0,1 h-1, d. h. erst nach zehn Stunden.
- Fazit: Für den notwendigen Luftaustausch müssen weitere Lüftungsmaßnahmen vorgesehen werden!
Frage: Ist es den Bewohnern zuzumuten, den notwendigen Luftaustausch über manuelle Fensterlüftung sicherzustellen?
- Die Minimalforderung von Raumhygieneexperten sind vier bis sechs Stoßlüftungen am Tag durch das Öffnen der Fenster für ca. zehn Minuten. Manche fordern sogar die Fenster alle zwei Stunden zu öffnen – auch nachts.
- Dies ist einem Mieter nicht zuzumuten, so die meisten einschlägigen Gerichtsurteile: Eine Wohnung müsse so beschaffen sein, dass bei einem üblichen Wohnverhalten die erforderliche Raumluftqualität ohne besondere Lüftungsmaßnahmen gewährleistet ist.
Rechtliche Risiken:
- Regeln der Technik reichen nicht:
Auch wenn aus den allgemein anerkannten Regeln der Technik das Erfordernis lüftungstechnischer Maßnahmen derzeit noch nicht zwingend abgeleitet werden kann, nützt es im Falle einer Klage dem Planer oder Bauausführenden wenig, wenn er nachweisen kann, sich an diese gehalten zu haben. Für die Frage der Haftung kommt es nämlich entscheidend darauf an, welche Beschaffenheit unter Umständen auch stillschweigend vorausgesetzt wurde und ob sich das Gebäude für die beabsichtigten Wohnzwecke auch eignet. - Beispiel:
Ist dem Auftragnehmer bekannt oder ist zu erwarten, dass sein Kunde berufsbedingt zwölf Stunden am Tag nicht zu Hause ist, entspricht eine Wohnung, die alle zwei Stunden gelüftet werden muss, nicht den beabsichtigten Wohnzwecken. - Haftungsrisiko:
Lässt sich der erforderliche Luftwechsel nur durch Lüftungsmaßnahmen erreichen, die von der Beschaffenheitsvereinbarung abweichen, liegt ein Werkmangel vor, für den der Planer bzw. der Unternehmer einzustehen hat. Wurde keine Vereinbarung darüber getroffen, dass der nach den technischen Regelwerken zu gewährleistende Luftwechsel ohne kontrollierte Lüftung nur durch zusätzliche Lüftungsmaßnahmen des Nutzers erreicht werden kann, ergibt sich hieraus ein beträchtliches Haftungsrisiko. - Ausführliche Beschreibung:
Will der Leistungserbringer sich dem Haftungsrisiko entziehen und trotzdem auf eine kontrollierte Lüftungsanlage verzichten, muss er eine vertragliche Vereinbarung mit dem Nutzer treffen, die den Umfang der notwendigen Lüftungsmaßnahmen ausführlich beschreibt. - Rechtliche Grauzone:
Nach Autor und Gutachter Rechtsanwalt Dietmar Lampe kann schon heute in Zweifel gezogen werden, ob die Sicherstellung des notwendigen Luftaustausches nur über Fensterlüftung noch den Regeln der Technik entspricht. Hier bewegt sich die Baubranche derzeit noch in einer rechtlichen Grauzone. - Vorsicht – Zeitpunkt der Abnahme gilt!
Das ist insofern problematisch, als der Auftragnehmer zum Zeitpunkt der Abnahme ein mangelfreies Werk schuldet, die Regeln der Technik sich aber im Laufe des Bauvorhabens ändern können. - Lüftungsanlagen werden wahrscheinlich Regeln der Technik:
Nach Lampes Einschätzung werden kontrollierte Lüftungsanlagen schon im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen dichter Gebäudehülle und Raumklima zukünftig zunehmend mehr und mehr anerkannt und als notwendig erachtet werden. Zu diesem nicht näher zu bestimmenden Zeitpunkt werden sie im Wohnungsbau zu den anerkannten Regeln der Technik gehören und somit schon nach allgemeinen Grundsätzen vorzusehen sein. Diesen Zeitpunkt sollten die Bauausführenden nicht verpassen.